Menu

Romeo & Julia

6 min read Januar 17, 2017 at 9:37pm

Sein Handy vibrierte, doch Romeo ignorierte es. Er konnte jetzt nicht rangehen, er musste zu Julia.

Besser er traf sie direkt im echten Leben, im virtuellen war einfach schon zu viel schief gegangen.

Er starrte aus dem Fenster der S-Bahn während die Silhouette Berlins an ihm vorbei zog.

Die Wolken hingen trüb und tief grau über der Stadt und saugten förmlich alle Farbe und alles Leben aus ihr. Eine treffendere Beschreibung seiner Verfassung hätte Romeo wohl nicht selbst ausdrücken können, als das trostlose Bild das sich ihm bot.

 

Doch wie kam es dazu? Vor 10 Tagen hatte Romeo sie erst kennengelernt, dieses unvergleichlich tolle Mädchen, mit den rehbraunen Augen und den Sommersprossen. Vor 10 Tagen hatten sie begonnen sich über die Dating App zu schreiben und doch fühlte es sich an, als wäre dieser Zeitpunkt schon Jahre her. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden, er und Julia, hatten die selben Interessen und konnten über die gleichen Dinge lachen und sich aufregen.

 

Sie hätten sich auch schon längst getroffen, aber Julias Bruder machte Ihnen wo er nur konnte das Leben schwer. Er nahm Julia das Handy weg und änderte ihr Passwort, was sie erst Stunden später wieder von ihm erfuhr, er versteckte die Ladegeräte ihres Smartphones und ihres Laptops so dass die Geräte bald leer waren und Romeo wieder den ganzen Abend nichts von ihr hörte.

Sie hatten sich deswegen auch schon gestritten, denn Romeo konnte und wollte nicht verstehen wieso Julia diese ganzen Gemeinheiten ertrug und ihren Bruder auch noch in Schutz nahm.

 

Doch all diesen Gemeinheiten zum Trotz wollten sie sich heute noch treffen. Sie hatten sich in einem kleinen Café bei ihr in der Nähe für den Nachmittag verabredet.

Er hatte auch Blumen gekauft und eine Packung Schokoladenherzen ihrer Lieblingsmarke dabei.

Wie sie ihn wohl ansah, vielleicht dabei mit ihrem Haar spielte, während ein schüchternes Lächeln auf ihrem Gesicht lag? Bei dem Gedanken wurden Romeo die Knie weich, wie sollte er sich nur locker und cool verhalten, wenn allein die Vorstellung dieses Mädchen zu treffen, ihn innerlich auf die Größe einer Spielfigur zusammenschrumpfen ließ?

 

„Den Fahrschein bitte junger Mann!“, die eindringliche Stimme des Kontrolleurs riss Romeo aus seinen Gedanken. Er kramte seine Fahrkarte aus der Jackentasche und reichte sie dem Schaffner.

Als dieser ihm den Fahrschein wiedergab, sah Romeo, dass er an der nächsten Station bereits aussteigen musste. Sein Herzschlag beschleunigte sich und seine Hände wurden feucht.

 

Als der Zug langsamer wurde stand er auf und stieg mit einigen wenigen anderen Menschen aus dem Zug. Da erinnerte er sich, dass vorher sein Handy vibriert hatte, er zog es heraus und sah, dass er eine neue Nachricht hatte. Sie war von Julia. Rasch entsperrte Romeo sein Telefon und öffnete die App und sogleich darauf die Nachricht und las den Text.

 

„Hi Romeo, es ist eigentlich nicht meine Art das so zu machen, aber es ist für uns beide einfacher.

Ich habe dir nicht die ganze Wahrheit über mich gesagt. Ich habe bereits einen Freund, es lief nur derzeit sehr schlecht und deshalb habe ich mich hier angemeldet.

Ich wollte nur ein wenig Spaß, um meinen Frust zu vergessen.

Dann habe ich aber dich kennengelernt und es war so wie ich es mir immer gewünscht habe.

Trotzdem kann ich das nicht, denn du bist zu gut für mich.

Du wirst bestimmt jemanden finden, der besser zu dir passt.

Es tut mir leid, Julia.“

Er hörte nichts. Er sah nichts. Er spürte nichts.

Die Menschen gingen um ihn herum als sei er ein unbeweglicher Gegenstand.

Alles schien langsamer zu laufen, Romeo, die anderen Passanten, die Zugtüren, die sich langsam hinter ihm schlossen. Der Strauß Blumen und die Pralinen glitten ihm aus den Fingern und fielen mit einem dumpfen Geräusch auf den gepflasterten Boden des Bahnsteigs.

Während er sich umdrehte und langsam auf den Knopf der Abteiltüren drückte, die sich mit einem Piepton öffneten, konnte er keinen klaren Gedanken fassen.

Er bewegte sich mechanisch zu einem Platz am Fenster und stierte hinaus, ohne doch wirklich etwas von der Umgebung zu sehen.

Dann blickte er auf das Display seines Handys, öffnete die App und löschte sein Profil.

 

Julias Bruder lächelte. Er hatte die Nachricht, die er dem Macker seiner Schwester geschrieben hatte, sofort wieder gelöscht nachdem er sah, dass dieser sein Profil deaktiviert hatte.

Dieser Kerl würde nie wieder den Kontakt zu seiner Schwester suchen und er selbst würde schon dafür sorgen, dass Julia einen Typen kennenlernte, den er für gut erachtete.

Seine Zimmertür flog auf und herein stürmte ein Mädchen mit blonder Mähne, großen, braunen Augen und einem hübschen Gesicht, das nun aber rot vor Zorn glühte. „Gib mir jetzt sofort mein Telefon wieder, du blöder Arsch!“, schrie ihn das Mädchen an und ihre Stimme überschlug sich dabei fast. Er grinste sie an, „Ja natürlich Prinzessin, wie Ihr wünscht Prinzessin.“, äffte er einen kriecherischen Diener nach und verbeugte sich übertrieben tief, als er ihr das Handy hinhielt.

Sie riss es ihm aus der Hand und lief vor Wut schnaubend aus dem Zimmer.

„Viel Spaß bei deinem Date!“, rief er ihr nach, doch da flog die Tür schon hinter ihr zu.

Er dachte an das Gesicht des Kerls als er die Nachricht gelesen hatte und begann lauthals zu lachen.

 

Julia rannte aus dem Haus und ärgerte sich, sie war viel zu spät dran und das alles nur wegen ihres Bruders. Sie bräuchte noch mindesten 20 Minuten bis zum Café, in dem sie sich mit Romeo treffen wollte und sie war bereits jetzt schon 5 zu spät. Sie hatte sich heute extra hübsch gemacht, mit ihrer besten Freundin stundenlang zusammen gesessen, das beste Outfit herausgesucht und war mindestens eine Stunde damit beschäftigt, etwas Außergewöhnliches aus ihren Korkenzieherlocken zu machen, bis sie verzweifelt und entnervt aufgeben musste.

Sie hoffte so sehr Romeo zu gefallen, auch wenn sie noch immer nicht glauben konnte, dass dieser große Junge mit dem offenen, herzlichen Lachen, den grünen Augen und dem kastanienbraunen Haar, etwas an ihr kleinem Mauerblümchen finden konnte.

 

Sie bog um die Ecke und stand nun vor dem Café, doch niemand der auch nur annähernd wie Romeo aussah war zu sehen. Ein flaues Gefühl stieg in ihrem Magen auf. Sollte er sie versetzt haben? Sie zog ihr Handy aus ihrer Jackentasche und sah nach ob er ihr vielleicht geschrieben hatte, dass er sich womöglich verspäten würde. Sie öffnete den Chatverlauf und sah, dass sein Profil nicht mehr existierte. Julia hatte das Gefühl als würde der Boden unter ihr weggezogen.

Sie konnte und wollte das nicht glauben. Niemals würde ihr Romeo so etwas tun.

Julia machte auf dem Absatz kehrt und rannte nach Hause. Im Laufen bemerkte sie, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Es war die traurige Stimme der Realität, die ihr sagte, dass sie Romeo niemals treffen würde. Zuhause angekommen lief sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, warf sich aufs Bett und fing an zu weinen.

Noch während ihr die Tränen über die sommersprossigen Wangen liefen, zog sie das Telefon hervor, löscht ihren gesamten Account und schwor sich niemals wieder so etwas zu tun.

Dann schleuderte sie mit der Kraft eines gebrochenen Herzens das Gerät an die Wand, wo es in seine Einzelteile zersprang.

Genauso wie das Gerät, das ein junger Mann zur selben Zeit, 15 Kilometer entfernt auf den gefliesten Boden der elterlichen Terrasse warf.

 

„Die wahre Liebe gibt es wohl doch nicht.“, dachte Julia, das Gesicht in ihrem Kissen vergraben.

„Die wahre Liebe gibt es wohl doch nicht.“, dachte Romeo, auf der Terrasse seiner Eltern stehend.